Wie einst Dichter Hermann Hesse, beherrscht Silvia Jenzer das Glasperlenspiel. Zwar nicht in literarischer Form, dafür mit ihren Rocailles-Arbeiten.

Tages-Anzeiger 27.11.2007 (PDF)

Grosse Leidenschaft für kleine Glasperlen

Von Yvonne Bitterli, Kilchberg.

071127 ta bild1«Jetzt verpasse ich meinem Geschöpf gerade einen Knopf», erklärt Silvia Jenzer und schmunzelt. Diese Frau ist die Ruhe selbst. Sie sitzt an ihrem Ar­beitstisch, vor sich mehrere kleine Schalen mit winzigsten Kügelchen aus Glas, nach Farben getrennt. Ge­schickt pikst sie mit der Nadel in eine schwarze Perle und zieht sie auf den Faden. Nun sind wieder die weissen dran. Sie verbindet diese mit der unteren Reihe und schlingt die Schneeperlen flink um den Sty­ropor- Bauch, bis er kugelrund ist. Beim Kopf dürfen die rote Nase und zwei glänzende Äuglein natür­lich nicht fehlen. Draussen zeigt sich der Himmel in einer melan­cholischen Novembernebelstim­mung, drinnen aber, an der unge­wohnten Wärme, sitzt der soeben geborene Schneemann und scheint sich auf den Winter zu freuen.

Am Anfang war das Ei

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Angefangen hat alles mit einem Ei. Die Mutter zweier Kinder wollte damals, es war kurz vor Ostern, ein Kleidungsstück in die Reinigung bringen und entdeckte dort ein mit Rocailles-Perlen über­zogenes Ei. Für sie, die schon im­mer gerne bastelte, war es Liebe auf den ersten Blick. Nach einem Einführungskurs in die Welt der Glasperlenkunst dekorierte sie mit den selbst kreierten Schmuckeiern kurzerhand einen Osterbaum. Seit­her sind gut 12 Jahre vergangen, und diese Liebe hat sich dank Selbststudium und Stickanleitun­gen zu einer wahren Leidenschaft entwickelt. «Meiner Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Ich mache alles, was mir gefällt», sagt die Kunsthandwerkerin und fügt an: «Selbstverständlich erfülle ich gern auch individuelle Wünsche.»


In ihrem Fundus finden sich mittlerweile unzählige Artikel, die sich auch als Geschenk gut eignen. Die meisten sind zwischen 6 und 50 Franken zu haben. Da gibt es Un­tersetzer, Kerzenhalter, Serviet­tenringe, verblüffend echt ausse­hende Bonsaibäumchen, Engel, Schlüsselanhänger, Blumengebin­de, Schmuckketten, Samichläuse, Setzkastenfigürchen, Weihnachts­sterne. Und Tiere in Miniaturform, wie Bären, Hasen, Seepferdchen, Papageien, Schmetterlinge oder Königspinguine. Der filigrane Ma­rienkäfer mit den kleinen Fühlern, dem lustigen Gesichtchen und den feuerroten Flügeln wird dem Besit­zer Glück bringen. Kein Zweifel.

Schon zur Zeit der ägyptischen Pharaonen war Glasperlen­schmuck - damals noch aus glasier­ten Specksteinperlen hergestellt - heiss begehrt. Kein Wunder, wurde auch Bastet, die hoch verehrte Kat- zengöttin, in Perlen verewigt. De­ren Bild ist bei der Kunsthand­werkerin zu bewundern. «Ich liebe Herausforderungen», meint die 44­Jährige bescheiden, «und habe mein Bestes gegeben, dem Original möglichst nahe zu kommen.»

Durchmesser: 1,8 Millimeter

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Heute werden die in allen Far­ben schimmernden runden Glas­perlen, auch Saatperlen oder eben Rocailles genannt, hauptsächlich in Indien, China oder 

Tschechien produziert. Die Künstlerin mit der ruhigen Hand gibt dabei den kleins­ten mit einem Durchmesser von nur 1,8 Millimetern den Vorzug.

Ein Geduldsspiel also für Leute mit starken Nerven? Silvia Jenzer lacht, und ihre Augen funkeln ver­gnügt: «Im Gegenteil. Wenn ein­mal alle Stricke reissen, finde ich bei meinen Perlen Ruhe und Ent­spannung. » Manchmal wird es aber selbst ihr fast zu viel. Wie beim Auftrag, in kurzer Zeit 90 Ge­burtsanzeigen zu gestalten, mit ei­nem Nuggi als Sujet. Oder als sie das Auto der Feuerwehr Kilchberg­Rüschlikon - ihr Mann ist dort Mit­glied - anhand von Fotos massstab­und detailgetreu in der Grösse von 24 x 10 x 10,5 Zentimetern nachbil­dete. Sie hat die dafür verwendeten Perlen gezählt. Es sind exakt 21 337.

Perlenfieber an der Euro 08

Dass die Rocailles-Künstlerin schon mit dem nächsten Projekt schwanger geht, erstaunt bei ihrer Vielseitigkeit und Kreativität nicht. Sie plant, Ohrringe und Anhänger in den Landesflaggen aller teilneh­menden Fussballmannschaften der Euro 08 anzufertigen. Ob es ihr die Fans des runden Leders danken werden und im nächsten Jahr ver­zückt in ein höchst ansteckendes Perlenfieber fallen?


Silvia Jenzer, Rocailles-Arbeiten; www.rocailles.info


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